Interview

Interview der Quartierszeitung „Reuter“ mit Andreas Berg und Andreas Haltermann vom Bündnis für bezahlbare Mieten Neukölln (Oktoberausgabe)

Wir wollen Politikerbeteiligung!

Es gebe hinsichtlich der steigenden Mieten kaum Eingriffsmöglichkeiten für bezirkspolitisches Handeln, schrieb Bezirksstadtrat Thomas Blesing in seiner Antwort auf einen Offenen Brief des Quartiersrates Reuterplatz im Dezember 2012. Die Mitglieder des Quartiersrates sehen das anders. Mit Unterstützern aus Initiativen und Parteien gründeten Andreas Berg und Andreas Haltermann das Bündnis für bezahlbare Mieten Neukölln, das am 12. August 2013 zur Auftaktveranstaltung in das Foyer der neuen Quartiershalle in der Rütlistraße lud. Der Saal füllte sich schnell, zu den hundert vorhandenen Stühlen mussten weitere Stühle geholt werden, etliche Besucher mussten trotzdem stehen. Insgesamt kamen rund 140 Personen.

Andreas Haltermann, Andreas Berg, was ist bei der Auftaktveranstaltung des Bündnis bezahlbare Mieten Neukölln herausgekommen, ist der Bezirk wirklich handlungsunfähig?

Andreas Berg: Im Gegensatz zur Behauptung von Bezirksstadtrat Blesing, es gäbe auf bezirklicher Ebene keine Handlungsmöglichkeiten, gab es eine beeindruckende Vielzahl von Vorschlägen. Es gab Forderungen insbesondere zur einkommensabhängigen Begrenzung oder Kappung der Mieten, zu Modifikationen am Mietspiegel und Maßnahmen zur Begrenzung von Umwandlung in Eigentum und Zweckentfremdung, also zum Milieuschutz. Darüber hinaus wurde vorgeschlagen, dass sich MieterInnen lokal und berlinweit stärker vernetzen, Privatisierung von Wohnraum im öffentlichen Besitz zu stoppen oder sogar privatisierten Wohnraum rückzukaufen. Gefordert wurde auch der Schutz vor Zwangsräumungen und -umzügen. Es gab viele weitere Vorschläge und Forderungen, die unter www.mietenbuendnis.de nachzulesen sind.

Das eigentliche Ergebnis war aus meiner Sicht zunächst, dass die AnwohnerInnen eine Plattform hatten, um aus ihrer Sicht zu erzählen, wo sie beim Thema Mieten und Wohnen der Schuh am meisten drückt. Erwartungsgemäß beklagten sie horrende Neuvermietungsmieten bis zu 11 €/m2, und dass der Anteil der Miete am Einkommen mehr und mehr steigt. Bei den Bestandsmieten wurden häufige Mieterhöhungen ohne Gegenleistung beklagt. Weitere Punkte waren Mietsteigerungen nach Modernisierungen und Vermieterwechseln. Viele Mieter befürchten aus ihrem Kiez verdrängt oder innerhalb des Kiezes an den Rand gedrängt zu werden.

Die Einführung der Milieuschutzverordnung in Neukölln würde vor Luxusmodernisierung, Umwandlung in Eigentum und Zweckentfremdung schützen. Wie kann man denn Druck auf die Bezirkspolitik ausüben?

Berg: Beispielsweise, indem wir in den Ausschüssen für Stadtentwicklung, wo die politischen Entscheidungen fallen, Präsenz zeigen und uns zu Wort melden. Man kann versuchen, auf die Landespolitik einzuwirken und mietenpolitische Netzwerke aufzubauen, die Druck erzeugen.

Warum habt ihr bei der Auftaktveranstaltung eine offene Form mit Kleingruppen gewählt?

Andreas Haltermann: Die Methode des „World-Café“, für die wir uns entschieden hatten, ist eine Partizipations-Methode, die die Leute selbst aktiv werden lässt. In kleinen Gruppen werden die Leute offener und können ihre persönlichen Themen schneller anbringen. Bei 200 Leuten ist die Hemmschwelle, aufzustehen und von seinen persönlichen Problemen zu erzählen, viel größer.

Berg: Das „World-Café“ fördert die Selbstorganisation der TeilnehmerInnen und ist geeignet, Menschen, die sich nicht kennen oder einen unterschiedlichem Hintergrund haben, in Dialog zu bringen. Wir wussten aber, dass es mit der schlechten Akustik und Belüftung im Foyer der Quartiershalle, mit der Enge und der zu kurzen Zeit schwierig wird.

Wie geht ihr damit um, dass laute, dominantere Menschen bei Diskussionen manchmal störend in den Vordergrund treten?

Berg: Wir wollen so wenig wie möglich eingreifen und die Leute stoppen, es geht darum, dass wir uns selbst organisieren. In dem Moment, wo man alle motiviert mitzumachen, dann regelt sich das meist von selber. Wenn alle dabei sind, dann pendelt sich das schon aus.

Haltermann: Es ist nicht so, dass wir das Bündnis leiten wollen, das muss eine Gruppengeschichte werden. Deshalb sind die Leute auch selbst verantwortlich. Es hat einen partizipatorischen Handlungsgedanken: die Mitwirkung und Einflussnahme möglichst vieler Menschen.

Berg: Wir wollen eine bestimmte Diskussionskultur fördern, das sehe ich als eines meiner strategischen Ziele. Aber das Partizipatorische steht im Vordergrund.

Stellt das Mietenbündnis für euch denn eine Form der Bürgerbeteiligung dar?

Berg: Das hängt davon ab, was man unter Bürgerbeteiligung versteht. Um die Beteiligungsinstrumente auf politischer Ebene wie z.B. Bürgeranfragen geht es uns gerade nicht, obwohl ich das auch sinnvoll finde. Unter Bürgerbeteiligung, wie ich sie mir vorstelle, verstehe ich, dass man die Leute, die sonst eher dazu neigen, anderen zuzuhören, motiviert, selber mal zu sagen, was sie wollen. Wir möchten den Leuten nicht etwas hinwerfen, bei dem sie mitmachen dürfen.

Haltermann: Es geht uns vor allem um Politikerbeteiligung! Die Verantwortlichen für die Mieten- und Wohnungspolitik im Bezirksamt, besonders Bezirksstadtrat Blesing, zeigen sich nach wie vor unfähig, trotz der dramatischen Entwicklung am Wohnungsmarkt in Nordneukölln, wirkungsvolle Maßnahmen zu ergreifen und ignorieren die Ängste und Interessen der Mieter.

Bei den bisherigen drei Veranstaltungen haben VertreterInnen der migrantischen Communities gefehlt. Wie wollt ihr sie erreichen und miteinbeziehen?

Berg: Wir würden es sehr begrüßen, wenn mehr Menschen mit Migrationshintergrund bei uns mitmachen würden und laden alle dazu ein. Allerdings scheint es da auf beiden Seiten Berührungsängste zu geben, deren Ursachen über den Rahmen hinausgehen, in dem wir aktiv werden können. Wenn wir mehr Leute sind, die aktiv mitarbeiten, können wir in dem Punkt vielleicht etwas mehr Initiative entwickeln. Bis es soweit ist, können wir Menschen mit Migrationshintergrund nur aufrufen, zu den Mietentischen zu kommen und sich beim „Bündnis für bezahlbare Mieten“ zu beteiligen.

Haltermann: Ich würde mir hier mehr Unterstützung durch die Schulen wünschen, auch Multiplikatoren aus den verschiedenen Communities sind wichtig.

Hat denn auch der Einzelne Möglichkeiten, etwas zu tun?

Berg: Er oder sie kann z.B. ein Beteiligungsinstrument wie den Einwohnerantrag nutzen. Man kann Kontakte mit den anderen MieterInnen herstellen, bei Problemen Hausversammlungen durchführen, die Beratungsstellen aufsuchen und lokale Ressourcen wie Quartiersräte / QMs nutzen.

Inzwischen haben sich in Berlin um die 80 Mieterinitiativen gebildet. Inwieweit ist es sinnvoll, sich zusammen zu tun?

Berg: Sinnvoll ist das auf jeden Fall, es kommt auf eine gute Mischung von lokalen Aktionen und Angeboten z.B. der Mieterberatung sowie vernetzten, öffentlich wirksamen Aktionen an. Allerdings hat sich bei uns gezeigt, dass so eine Zusammenarbeit sehr viel Energie braucht – das können kleine Initiativen nicht leisten.

Was ist euer Appell an alle, die von Mietsteigerung betroffen sind?

Berg: Ich glaube, dass Kommunikation und Vernetzung mit den anderen MieterInnen sehr wichtig ist, vor allem in der aktuellen Situation, wo die Mieten so steigen. Wenn die Leute die Beteiligungsinstrumente nutzen, demonstrieren sie, dass ihnen das Thema bewusst ist. Die meisten gehen erst zur Mieterberatung, wenn es Stress gibt. Ich würde mich freuen, wenn sie mit ihren Problemen frühzeitig zu den Initiativen und Vereine gehen, die sich mit Mieten professionell beschäftigen.

Haltermann: Wenn z.B. in einem Haus nur ein Mieter Mitglied in einer Mietervertretung ist, dann können alle Mieter eine erste Hausversammlung organisieren und werden gemeinsam beraten. Ein Auto zu haben oder nicht, das ist vielleicht nicht so wichtig. Aber eine Wohnung, die bezahlbar ist, das ist extrem wichtig.

Die Fragen stellten Mathias Hühn und Claudia Mattern

Kontakt: info@mietenbuendnis.de

Der nächste Treffen findet am Mo, 7. Oktober, 19 Uhr im elele Nachbarschaftszentrum, Hobrechstr. 55, 2. OG statt. Alle sind herzlich eingeladen!