Archiv für den Monat: September 2019

Stadtentwicklungsamt Friedrichshain-Kreuzberg lehnt das Vorhaben der Signa am Hermannplatz ab

Pressemitteilung Nr. 2 vom 30.08.2019
Initiative Hermannplatz – karSTADT ERHALTEN
initiative-hermannplatz@riseup.net

Das Vorhaben der SIGNA GmbH, die das Karstadt-Gebäude am Hermannplatz abreißen und einen Neubau mit einer Fassadenreplik eines historischen Gebäudes errichten wollte, wurde vom Stadtentwicklungsamt Friedrichshain-Kreuzberg unter Einbeziehung des Stadtentwicklungsamtes Neukölln eingehend untersucht. Die beiden Ämter kamen zum Schluss, dass keine Planerfordernis besteht. Die Fassadenreplik des Neubaus wird als kritisch bewertet und wird nicht unterstützt. Zudem wird eine Modernisierung des bestehenden Gebäudes nahe gelegt.

Das ist ein wichtiger Schritt, den wir als Initiative unterstützen und begrüßenswert finden. Wir standen von Anfang an einer Rekonstruktion der historischen Fassade kritisch gegenüber und positionieren uns ganz klar gegen Abriss und jeglichen Neubau an dieser Stelle.

Die Umgestaltungspläne des Hermannplatzes betrachten wir nach wie vor kritisch und möchten, dass die bestehende Qualität und Atmosphäre des Platzes aufrechterhalten bleibt. Gegen eine Verkehrsberuhigung des Hermannplatzes ist nichts einzuwenden, aber die Umgestaltung des Platzes darf nicht die Verdrängung von armen und/oder rassistisch diskriminierten Nutzenden nach sich ziehen, die aus der Sicht von Wirtschaftsunternehmen und Politik unerwünscht sind.

Signa wird jedoch nicht aufgeben. In einer ihrer seltenen Mitteilungen heißt es im Tagesspiegel heute: „Wir werden weiter Überzeugungsarbeit in den verschiedenen Bezirksgremien und bei dem Senat von Berlin leisten“.[1] Denn René Benko, der Mann hinter Signa, hat laut addendum einen „langen Atem, Einfallsreichtum und genügend Geld“.[2]
Innerhalb von zehn Jahren hat er es in Bozen geschafft, die öffentliche Meinung, die Einstellung von Politiker_innen und der kritischen Presse im Sinne seiner Vorhaben zu beeinflussen. Mit Klagen, Werbekampagnen, Umfragen und „Überzeugungsarbeit“. Und
womöglich auch mit vermeintlich unabhängigen Bürgergruppen.[3]

Signa hat in Kreuzberg und Neukölln bereits mit Umfragen begonnen. Die Meinungsforschungsagentur Ipsos geht von Haus zu Haus und befragt die Nachbar_innen in ihren Wohnzimmern. Die beiden Bezirksämter sind nicht über diese Umfragen unterrichtet worden. Lediglich über eine Online-Befragung durch die Agentur Sinus wissen sie Bescheid. Was der Konzern mit diesen Umfragen beabsichtigt: Daten und Informationen zu sammeln, um das Meinungsbild der Bewohner_innen einseitig zu beeinflussen. Über die tatsächlichen Konsequenzen informiert sie nicht.

Zugleich behaupten Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Die Grünen) sowie IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder, es gäbe einen „Austausch mit Anwohnerinnen und Anwohnern“, sowie einen „Beteiligungsprozess“, der „gerade erst begonnen hat“. Welcher Beteiligungsprozess? Welcher Austausch? WIR SIND DIE ANWOHNER_INNEN und wir wissen, dass es keinen öffentlichen Beteiligungsprozess und auch keinen Austausch gibt! Solche Fehlinformationen werden gestreut, um den Immobilienkonzern als entgegenkommend darzustellen. Die Fakten: Der Konzern ist gerade dabei sich über
voreingenommene, privatwirtschaftliche Umfragen ein Bild von den Meinungen, Gesinnungen, Ängsten und Sorgen spezifischer Milieus zu machen, um mit den gesammelten Daten und Informationen Werbekampagnen für ihr Projekt zu entwickeln. Denn Signa wird nicht nur „Überzeugungsarbeit“ in der Politik betreiben, sondern auch versuchen, die Bewohnerschaft zu manipulieren.

Für uns als Initiative bedeutet es, dass wir jetzt erst recht unsere Argumente gegen das Vorhaben veröffentlichen und verbreitern, über die Intentionen und Konsequenzen des Großprojektes in Kreuzberg und Neukölln aufzuklären. Benko hat das Geld, wir haben ein großes Netzwerk solidarischer Nachbarschaften und Initiativen; er hat womöglich Einfallsreichtum, wir haben die Fakten auf unserer Seite; er hat einen langen Atem, wir haben eine existenzielle Motivation.

Das Projekt bedeutet für die Bewohner_innen und Mitarbeiter_innen im Gebäude und im Umfeld:

  • 5 bis 10 Jahre Großbaustelle am Hermannplatz und 5 bis 10 Jahre kein Warenhaus
  • Arbeitsplatzverlust für alle Beschäftigten im Gebäude und im Umfeld
  • Noch mehr Spekulation und Verdrängung von Bewohner*innen und Kleingewerbe
  • Mehr CO2, Müll und Raubbau an der Natur

IMMOBILIEN, PROFIT, VERDRÄNGUNG

Signa ist eine globale, auf Profitmaximierung ausgerichtete Immobilienaktiengesellschaft. Sie besteht aus hunderten Tochterunternehmen, Privatstiftungen und Briefkastenfirmen. Das Karstadt-Gebäude gehört zur Signa Prime Selection AG mit 25 “Trophy-Immobilien”. Für Signa ist nur der Wert der Immobilie wichtig, nicht ob es hier ein Kaufhaus gibt. Profit macht der Konzern mit der Vermietung von Flächen an andere Unternehmen, die für die Lage in der Innenstadt hohe Mieten zahlen.

Signa will mit dem geplanten Riesenbau:

  • Die Gesamtfläche vergrößern (von aktuell ca. 45.000 m2 auf 100.000 m2)
  • Die Verkaufsfläche von Karstadt verkleinern (von ca. 24.000 m2 auf 17.000 m2)
  • Alle Flächen zu Höchstpreisen vermieten
  • Maximalen Gewinn erwirtschaften

Signa plant weitere Bauprojekte am Alexanderplatz, Kuʻdamm, Ostbahnhof und in der Karl-Marx-Strasse (Schnäppchen-Center). In die Eigentümerin des Schnäppchen-Centers S Immo AG hat sich Signa inzwischen eingekauft.[4]

Wie prekär die Situation für die Bewohnerschaft und Gewerbemieter_innen in Neukölln an dieser Stelle ist, ist kein Geheimnis:

  • Die Mietpreise im Norden Neuköllns sind in den letzten 10 Jahren um 146% gestiegen
  • Das Gewerbesterben der migrantischen, von den Inhabern selbst geführten Läden ist immens
  • Der Mietendeckel bedeutet keine dauerhafte Lösung, er endet 2025 mit der geplanten Fertigstellung des Neubaus
  • Milieuschutz und Vorkaufsrecht verhindern Spekulation nicht

Ein Großprojekt eines global agierenden Investors wird die bestehende Situation für die Bewohner_innen und Gewerbemieter_innen nur verschlechtern.

NEUES BAUEN, NACHHALTIGKEIT, KLIMAGERECHTIGKEIT

Alle wissen: wenn wir so weitermachen, steuern wir auf eine Klimakatastrophe zu. Wir brauchen auch eine radikale Abkehr von der bisherigen Baupraxis und müssen vermehrt
ohne Abriss und Neubau auskommen. Das Karstadt-Gebäude erfüllt seinen Zweck, es schreibt schwarze Zahlen, deckt den lokalen Bedarf und ist nicht vom Einsturz gefährdet.

Abriss und Neubau sind Irrsinn:

  • Abriss bedeutet Müllproduktion und -entsorgung
  • Der Energie- und Ressourcenverbrauch eines Beton-Neubaus ist riesig
  • Beton ist der größte Klimakiller: Die Herstellung benötigt Zement. Weltweit stößt die Produktion von Zement mehr CO2 aus als der globale Flugverkehr
  • Beton benötigt Unmengen Sand, der weltweit aus Flüssen, Meeren und Bergen abgebaut wird, die Natur zerstört und Menschen vertreibt

Wir brauchen ein wissenschaftliches Gutachten, das den ganzheitlichen, globalen Energieverbrauch und die klimatischen Konsequenzen eines Abrisses und Neubaus berechnet und energetisch bewertet.

KEIN ABRISS, KEIN GIGANTISCHER NEUBAU, KEINE „AUFWERTUNG“ DES HERMANNPLATZES

Wir möchten, dass der Hermannplatz und seine Umgebung unser Kiez und unser Zuhause bleiben. Wir brauchen keinen riesigen Neubau mit Hotels, überteuerten Büroräumen und Luxuswohnungen!

Wir fordern daher:

  • Den Erhalt und ökologisch sinnvollen Umgang mit dem Karstadt-Gebäude
  • Die Absicherung der Arbeitsplätze und Gewerbe im Gebäude und in der Umgebung
  • Eine Stadtentwicklung, die die Interessen aller Kiezbewohner*innen in den Vordergrund stellt
  • Schutz, Raum und Respekt für diskriminierte, geflüchtete, arme und wohnungslose Menschen
  • Neuen Wohnraum für bereits aus der Nachbarschaft Verdrängte

[1] https://www.tagesspiegel.de/berlin/kein-revival-am-hermannplatz-kreuzberg-lehnt-karstadt-kaufhaus-im-stil-der-20er-jahre-ab/24959416.html
[2] https://www.addendum.org/benko/bozen/
[3] ebd.
[4] https://www.trend.at/wirtschaft/ren-benkos-streich-9344443