Zum „Faktencheck“ Kiezblocks

Unter https://www.kiezblocks.de/konzept/faktencheck/ gibt es einen „Faktencheck“ zum Thema Kiezblocks.  Hier einige Anmerkungen dazu aus Sicht des Bündnisses für bezahlbare Mieten Neukölln. Vorab ist es uns aber wichtig festzustellen, dass auch wir – gerade angesichts der immer dramatischer werdenden Folgen des Klimawandels – die Notwendigkeit für einen Wandel zu einer umweltfreundlichen Verkehrspolitik sehen, also insbesondere die Stärkung von ÖPNV und  Fahrradverkehr sowie den Schutz von Fußgänger:innen. Dazu gehören großflächige Geschwindigkeitsreduzierungen, Begrenzung des Durchgangsverkehrs in den Quartieren und die Einschränkung der Nutzung des öffentlichen Raums durch PKW zugunsten der Anwohner:innen. Insofern gehen wir bei den meisten Punkten des o.a. „Faktenchecks“ mit.

Gleichzeit aber bedingen sich Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit gegenseitig und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Soweit der o.a. „Faktencheck“ soziale Fragen berührt, sehen wir daher einzelne Ausführungen kritisch.

Was hier fehlt ist eine gute Analyse, die die Ursachen der diversen Probleme benennt – u.a. ein gesteigertes Anspruchsdenken wie ein vermeintliches Anrecht der Radfahrer:innen die Gehwege zu nutzen, wenn die Straße nicht fahrradfreundlich ist, in diesen Zusammenhang gehört auch die Nutzung der Gehwege für die div. neuen Lieferdienste, Leihräder u. Roller und durch Außengastronomie. Weiterhin die immer größer werdenden Auslagen der Geschäfte und ihre aggressive Werbung, die Übernutzung von Grünanlagen und wildes Parken von PKW. Wir alle wollen mehr Aufenthaltsqualität in den Kiezen. Die damit verbundene Aufwertung führt aber erfahrungsgemäß zur Verdrängung von sozial schwachen Mieter:innen in weniger attraktive Wohnlagen (wie verlärmte Straßen).

Lieferverkehr und Einzelhandel

  • Dank der Verkehrsberuhigung gehören dann Staus und ewige Parkplatzsuche der Vergangenheit an
    Da wäre erst mal die Frage, ob dies überhaupt das Ziel eines Kiezblocks ist, denn eigentlich wollen wir ja weniger Autos, und da ist das Angebot an Parkplätzen ein wichtiges Steuerungsinstrument. Sprich evtl. wird man auch das Angebot an Parkplätzen reduzieren. Das ganze wird auch von einer künftigen Parkraumbewirtschaftung abhängen.
  • Weniger Durchgangsverkehr bedeutet weniger Lärm und Abgase sowie mehr Stadtgrün. Das ist nicht nur gesünder, sondern führt auch dazu, dass viele Menschen lieber ihr Fahrrad nehmen oder entspannt zu Fuß einkaufen gehen.
    Ob Kiezblocks tatsächlich dazu führen, dass man entspannt zu Fuß einkaufen gehen kann, hängt davon ab wie der öffentliche Raum im Weiteren genutzt wird. Wenn die Gehwege stärker von Gastronomie oder Party-Publikum genutzt werden, könnte genau das Gegenteil eintreten. Speziell in Nordneukölln lässt der Bezirk keine Absicht erkennen, die Sondernutzung der Gehwege einzuschränken – eher im Gegenteil, weil man im Sinne der Wirtschaftsförderung an einer touristischen Infrastruktur interessiert ist. Ob weniger Durchgangsverkehr automatisch mehr Stadtgrün bedeutet, ist auch zumindest nicht offensichtlich.
  • Fußgänger*innen und Radfahrer*innen lassen sich von Schaufenstern inspirieren, erkunden spontan ein neu eröffnetes Geschäft oder holen sich einen Kaffee, weil der sonnige Tag dazu einlädt. Flächen, die nicht mehr als Parkraum genutzt werden, können zudem der Außengastronomie zur Verfügung gestellt werden. Gerade in den wärmeren Monaten werden diese den Platz gebrauchen können – denn die neu gewonnene Ruhe und saubere Luft wird mehr Gäste in Straßencafés, Bars und Restaurants ziehen.
    In Nordneukölln gibt es durch die Sondernutzung der Gehwege schon jetzt eine Überlastungssituation. Insbesondere die Außengastronomie sorgt für eine hohe Lärmbelastung v.a. in den Nachtstunden und verdrängt anderes Kleingewerbe – in Nordneukölln muss man inzwischen schon von einer gewerblichen Monokultur sprechen. Trotz jahrelanger Bemühungen der Anwohner:innen ist es bisher noch nicht gelungen den negativen Folgen dieser Entwicklung etwas entgegen zu setzen. Auch seitens des Bezirks ist bislang wenig passiert, ordnungspolitische Maßnahmen zeigen keine Wirkung.

Gentrifizierung

  • Gentrifizierung und die autogerechte Stadt sind zwei verschiedene Probleme, die nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, sondern gemeinsam bekämpft werden müssen.
    Das ist korrekt. Tatsache ist aber auch, dass sich durch eine Steigerung der Aufenthaltsqualität eines Quartiers die Wohnlage und damit zwangsläufig die Mieten erhöhen. Im Reuterkiez ist dies in den letzten 20 Jahren exemplarisch zu belegen – in diesem Zeitraum sind mindestens die Hälfte der Anwohner:innen ausgetauscht worden. Als Folge dieser Entwicklung hat sich zwar die Sozialstruktur des Reuterkiezes verbessert, das aber auf Kosten der sozial Schwächeren, die schon aus unserem Kiez verdrängt wurden.
  • Die Ansicht „Alles muss schlecht bleiben, damit die Mieten nicht steigen”, würde im Umkehrschluss bedeuten, man müsse alles, was die Lebensqualität senkt, fördern.
    Das klingt zynisch. Es geht nicht darum, dass alles schlecht bleiben muss. Wir Aktive im Reuterkiez arbeiten seit vielen Jahren hart daran, die Situation hier im Quartier zu verbessern, sei es beim Thema Mieten, Müll, Kneipenlärm usw. Das Problem ist nur, dass Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung einfacher und schneller umzusetzen sind als die Verbesserung der sozialen Struktur. Es gibt hier zwei Geschwindigkeiten.
  • Kiezblocks sorgen nicht nur für ein besseres Leben für alle, sondern insbesondere für die weniger wohlhabenden Menschen. Denn diese leben oft an Orten mit hohem Verkehrsaufkommen und weniger Aufenthaltsqualität (siehe auch Hauptstraßen). Kiezblocks sorgen also für mehr und nicht weniger soziale Gerechtigkeit.
    Aufenthaltsqualität und soziale Gerechtigkeit sind zwei verschiedene Dinge. Wenn eine Familie ihre Miete nicht mehr bezahlen kann, hilft ihr eine höhere Aufenthaltsqualität im Quartier wenig.
  • Um der Verdrängung darüber hinaus entgegenzuwirken, haben wir uns mit unserer Kiezblocks-Kampagne ein ambitioniertes Ziel gesetzt: 180 Kiezblocks für Berlin – das sind bereits 40 Prozent aller Berliner Kieze. Die Idee dahinter: Wenn ein Großteil der Stadt aufgewertet wird, dann gibt es auch keine Verdrängung aus wenigen schönen Kiezen.
    Dass dieser Effekt eintritt, ist zweifelhaft, dafür ist der Druck auf dem Wohnungsmarkt einfach zu groß. Verdrängung entsteht ja neben deutlich höheren Bestandsmieten v.a. dadurch, dass bei Neuabschlüssen weniger zahlunbgskräftige Mieter:innen nicht mehr zum Zuge kommen. Außerdem laufen demografische Prozesse über längere Zeiträume und nicht so gradlinig.

Lärmbelastung und Müll

  • Für das Problem des nächtlichen Lärms gibt es Lösungen, wie bspw. entsprechende Schilder oder Kiezläufer*innen, die nachts für Ruhe sorgen. Prinzipiell ist es aber eine Sache, die Anwohner*innen gemeinsam steuern können: Regelmäßige Treffen mit lokalen Gewerbetreibenden, Interessengruppen und Behörden können viele Probleme im Keim ersticken.
    Derartige Ansätze gab es in den vergangenen Jahren zahlreich, diese gingen ausschließlich von den lärm- und müllgeplagten Anwohner:innen aus. Seitens der Gastwirte und der Politik gab es bislang keinen erkennbaren Willen, das Problem zu lösen bzw mit den Anwohner:innen in einen konstruktiven Austausch zu treten. Die Vorstellung, das Problem auf diese Weise zu lösen, ist durch die Realität widerlegt. Es stellt sich auch die Frage, warum es den Anwohner:innen auferlegt wird, ein Problem zu lösen, das andere geschaffen haben.

Demokratie und Beteiligung

  • Es profitieren aber insbesondere ärmere Menschen, die oft an Orten mit viel Lärm und Luftverschmutzung leben, weniger Wohnraum zur Verfügung haben und seltener einen Balkon oder Garten besitzen.
    Dass insbesondere ärmere Menschen von den Kiezblocks profitieren ist zweifelhaft, vielmehr adressieren Kiezblocks eher ein gut gebildetes und verdienendes Mittelstandspublikum. Für ärmere Menschen stehen ganz andere Probleme im Vordergrund.
  • „Schließlich profitieren ältere Menschen, von denen es in unserer Gesellschaft immer mehr gibt, sowie mobilitätseingeschränkte Anwohner*innen. Viele von ihnen trauen sich heute wortwörtlich nicht mehr vor die Tür, aus Angst vor dem Verkehr“.
    Ältere und mobilitätseingeschränkte Menschen haben v.a. ein Problem mit der übermäßigen Sondernutzung der Gehwege, die durch Kiezblocks eher gefördert werden. So ist es abends für solche Menschen nahezu unmöglich mit Tischen und Stühlen vollgestellte Gehwege zu durchqueren. Ein weiteres Problem sind die vielen Fahrradfahrer die wegen der schlechten Pflasterung der Straßen auf den Gehwegen unterwegs sind und Fußgänger gefährden.  Wenn der Autoverkehr eingeschränkt wird (was sehr zu begrüßen wäre) ist aber nicht damit zu rechnen, dass abseits der Fahrradstraßen der Straßenbelag aufgewertet wird.